Beitrag in Jahrbuch 2018
Allgemeine Entwicklung Gesetzliche Vorgaben für den Feldeinsatz von hochautomatisierten Landmaschinen
Einleitung
Die Landwirtschaft ist gefordert, eine stetig wachsende Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, aber auch mit Energie und nachwachsenden Rohstoffen zu versorgen. Im Vergleich zu anderen Sektoren ist die Landwirtschaft insbesondere durch ihre gesellschaftliche und umwelt- und naturbezogene Verantwortung gekennzeichnet, da die Produktion in und mit der Natur erfolgt. Wie auch andere Branchen muss die Landwirtschaft wirtschaftlich erfolgreich agieren, um ihre Aufgaben langfristig erfüllen zu können. Die Landwirtschaft ist deshalb seit je her durch nachhaltiges Wirtschaften geprägt.
Der teil- und vollautomatisierte Einsatz von Landmaschinen und Traktoren kann die Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Prozesse entscheidend stärken, da damit sozialen Gesichtspunkten (z.B. moderne und sichere Arbeitsplätze), wirtschaftlichen Kriterien (im Sinne der Optimierung von In- und Output) sowie der Reduzierung von Umweltauswirkungen noch besser Rechnung getragen werden kann.
Technisch unvermeidbare (Rest-)Risiken beim automatisierten Maschineneinsatz sind zu akzeptieren, sofern die Risiken nicht höher sind als bei dem konventionellen Maschineneinsatz bzw. eine ganzheitliche Prozessbetrachtung ergibt, dass die realisierten Vorteile die Nachhaltigkeit von landwirtschaftlichen Prozessen signifikant erhöhen und damit der gesellschaftliche Nutzen überwiegt.
Automatisierungsgrade bei Landmaschinen
Allgemein gültige bzw. abgestimmte Definitionen für die Automatisierungsstufen bei Landmaschinen liegen noch nicht vor. Aus VDMA-Sicht könnte die Differenzierung wie folgt vorgenommen werden.
- Assistiert: Fahrer bedient Maschine und hat zusätzliche Informationsquellen (z.B. Front-/Heck-/Überlade-Kamera, …)
- Teilautomatisiert: Fahrer bedient Maschine und definierte Funktionen / Funktionsabläufe laufen selbsttätig nach Aufruf ab (z.B. Vorgewende-Management, …)
- Hochautomatisiert: Maschinenbetrieb erfolgt über längeren Zeitraum ohne Fahrereingriff und Fahrer überwacht (z.B. Spurführungs-Systeme, durchsatzgesteuerte Vorfahrt, GPS-/sensorgestützte Teilbreitenschaltung, …)
- Vollautomatisiert: Maschine arbeitet definierten Arbeitsauftrag eigenständig ab; Fahrer anwesend (z.B. für Störungsbeseitigung oder Umsetzen der Maschine, …)
- Fahrerlos: Maschine arbeitet definierten Auftrag eigenständig ab; Überwachung durch Leitmaschine oder -stand
Rechtlicher Rahmen
Für den teil-, hoch- oder vollautomatisierten Einsatz von Landmaschinen und Traktoren auf dem Feld bzw. betriebseigenen Flächen sind die bekannten gesetzlichen Vorschriften für das Inverkehrbringen (seitens des Herstellers) und für den Betrieb (seitens des Endkunden) zu beachten und anzuwenden. Aufgrund der Technologie-Neutralität und dem grundsätzlichen Charakter der Anforderungen in sowohl übergeordneten [1] als auch in sektorspezifischen [2] gesetzlichen Regelungen deckt das heutige Regelwerk automatisierte Maschinen ab und lässt deren Betrieb zu. Auch in Bezug auf die Verantwortung des Herstellers für seine Produkte und des Endkunden als Arbeitgeber gelten die heutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen weiter [3; 4].
Insofern besteht zwar kein Handlungsbedarf für neue gesetzliche Regelungen. Um die breite Einführung dieser neuen Technologie zu fördern und zu beschleunigen, bedarf es jedoch eines (gesellschaftlichen) Konsenses, wie die heutigen Regelungen konkret umzusetzen sind, und der Dokumentation des Standes der Technik, um den spezifischen Bedingungen von Landwirtschaft und Landtechnik in geeigneter Form gerecht zu werden.
Maschinen-Richtlinie
Die in der Maschinen-Richtlinie geforderten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen lassen sich in Hinblick auf automatisierte Maschinen vereinfacht in zwei Bereiche gliedern
- Konstruktive Anforderungen in Bezug auf eine 'integrierte' Sicherheit, Auswahl und Eignung von Werkstoffen, Schutzeinrichtungen und -maßnahmen sowie Anwenderinformationen und
- Anforderungen für eine sichere Bedienung und die Kontrolle über die Maschine im Einsatz.
Für die konstruktiven Anforderungen steht eine Vielzahl harmonisierter Europäischer Normen zur Verfügung (z.B. Normenreihe ISO 4254 [5]), die auch bei automatisierten Landmaschinen zur Anwendung kommen (können) und typische Gefährdungen z.B. in Hinblick auf den Zugang zu Werkzeugen in geeigneter Form abdecken.
Die für die Bedienung und Kontrolle relevanten Anforderungen sollen die Bedienperson in die Lage versetzen, die Maschine gefahrlos bestimmungsgemäß verwenden und auf Maschinen- oder Umweltereignisse reagieren zu können. Mit zunehmenden Automatisierungsgrad werden Bedienung und Kontrolle der Maschine übertragen. Fähigkeiten der Bedienperson müssen durch Maschinenfunktionen ersetzt werden. Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit von Steuerungen steigen (Bild 1).
Bild 1: Verantwortung und Anforderungen bei zunehmender Automatisierung
Figure 1: Responsibility and requirements in case of increasing automation levels
Norm ISO 18497
Die seit Dezember 2018 vorliegende Norm ISO 18497 [6] beschreibt Grundsätze für die Gestaltung von hochautomatisierten Landmaschinen. Die Norm wurde in dem vom VDMA betreuten internationalen Komitee 'Safety & Comfort' (ISO/TC 23/SC 3) erarbeitet und liegt auch als harmonisierte Europäische Norm (EN ISO 18497) vor.
ISO 18497 gilt für hochautomatisierte Maschinen, d.h. Maschinen, die sich selbst steuern und keinen direkten Eingriff einer Bedienperson erfordern. Die Überwachung der Maschine kann durch eine Bedienperson auf der Maschine, in der Nähe oder entfernt von der Maschine erfolgen. Unter 'Maschinen' sind Traktoren, Traktor-Geräte-Kombinationen oder selbstfahrende Arbeitsmaschinen zu verstehen.
Die in der Norm beschriebenen Grundsätze für Highly Automated Agricultural Machines lassen sich in sechs Kernforderungen zusammenfassen:
- Die Maschine muss mit einem Erkennungssystem (perception system) ausgestattet sein, das Informationen über das Umfeld der Maschine erfasst und auswertet und damit auch die Lokalisierung von Personen oder Hindernissen ermöglicht.
- Das Erkennungssystem muss die Maschine im Arbeitsbereich positionieren und ein Verlassen des Bereiches verhindern.
- Vor dem Ingangsetzen (Fahrbewegung oder Betrieb von Werkzeugen) muss sichergestellt sein, dass sich kein Hindernis (Person oder Gegenstand) im Gefahrenbereich befindet.
- Wird im hochautomatisierten Betrieb ein Hindernis im Gefahrenbereich erkannt, muss die Maschine ein Warnsignal geben und in einen (vom Hersteller zu definierenden) sicheren Zustand übergehen.
- Die Bedienperson muss den hochautomatisierten Betrieb vor Ort oder mittels Fernbedienung (jederzeit) starten oder stoppen können.
- Die Maschine muss vor Ort oder mittels Fernbedienung überwacht werden können.
Diese Grundsätze werden in der Norm näher erläutert und durch Anforderungen konkretisiert, z.B. in dem Sinne, dass
- der Befehl zur Ausführung von hochautomatisierten Funktionen mittels Fernbedienung erfolgen kann, die zuvor erforderliche Aktivierung des Systems aber vor Ort erfolgen muss;
- der Betriebszustand der Maschine auch bei Fernbedienung immer erkennbar und übersteuerbar sein muss;
- die Verfügbarkeit der Datenübertragung / Kommunikation dauernd überwacht bzw. bestätigt werden und bei Verlust die Maschine selbsttätig in einen sicheren Zustand übergehen muss;
- das Erkennungssystem einschließlich der damit verbundenen Sensoren und Aktoren auch unter erschwerten (Umwelt-)Bedingungen zuverlässig arbeiten muss.
Die Norm beschreibt damit Wirkvorschriften – sie enthält aber nicht "Maß & Zahl" für die technischen Spezifikationen für die einzelnen Systeme. In Hinblick auf die Europäische Ausgabe (EN ISO) und die damit verbundene Vermutungswirkung zur Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen der Maschinen-Richtlinie wurde deshalb von dem CEN-Berater der Hinweis in der Norm gefordert, dass eine Reihe von Sachverhalten einer weitergehenden Risikobeurteilung des Herstellers bedürfen. Damit ist insbesondere die Anwendung von ISO 25119 [7] in Verbindung mit ISO 18497 entscheidend.
Weiterer Handlungsbedarf
Um Hersteller bei der Risikobeurteilung zu unterstützen bedarf es zusätzlicher (verbindlicher oder allgemein akzeptierter) Klarstellungen, um den Zielkonflikt – Höchstmaß an Sicherheit (technische Machbarkeit) und Praktikabilität & Kosten – entschärfen zu können. Für das autonome und vernetzte Fahren von Kraftfahrzeugen hat eine vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Ethik-Kommission Leitlinien [8] vorgelegt, die relativ konkrete Hinweise geben, z.B. dass Restrisiken bei der Zuverlässigkeit von Systemen oder dem Schutz vor Angriffen von außen akzeptiert werden können (und müssen), wenn mit autonomen Fahrzeugen die Sicherheit im Straßenverkehr insgesamt verbessert werden kann. Entsprechende Leitlinien wären auch für Landwirtschaft & Landtechnik hilfreich, um Prozesse in der Landwirtschaft optimieren, aber auch Kosten und Haftungsrisiken eingrenzen zu können.
Die EU-Kommission beabsichtigt, die Maschinen-Richtlinie (voraussichtlich) in 2019 zu überarbeiten. Zielsetzung ist es, grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zu überprüfen und den Änderungs- oder Ergänzungsbedarf hinsichtlich Digitalisierung, künstlicher Intelligenz, Internet der Dinge, … festzustellen. Konkrete Hinweise und Änderungsvorschläge liegen derzeit noch nicht vor. Es bleibt damit abzuwarten, ob die EU-Kommission der Erkenntnis, dass es einen dringenden Handlungsbedarf gibt, die Wettbewerbsfähigkeit Europas in puncto Digitalisierung zu stärken, auch im Bereich der technischen Gesetzgebung Taten folgen lässt.
Zusammenfassung
Mit steigendem Automatisierungsgrad erfolgt auch eine Verlagerung der Verantwortung für den sicheren Maschineneinsatz vom Fahrer hin zur Maschine; d.h. die Maschine muss mit zuverlässigen Systemen ausgestattet sein, die Maschinen- oder Umweltereignisse erkennen und selbsttätig darauf reagieren können. Die neue Norm ISO 18497 beschreibt Grundsätze für die Gestaltung hochautomatisierter Landmaschinen und enthält Kernforderungen an einzelne Systeme. Der Hersteller bleibt jedoch weiterhin gefordert, im Rahmen seiner Risikobeurteilung über die Systemauslegung im Einzelfall zu entscheiden. Um die Entscheidungssicherheit zu erhöhen, ist ein gesellschaftlicher Konsens über die mit dem automatisierten Maschinenbetrieb verbundenen Restrisiken erforderlich.
Literatur
[1] N.N.: Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit. URL – https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ DE/ALL/?uri=celex%3A32001L0095.
[2] N.N.: Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung). URL – https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32006L0042.
[3] N.N.: Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte. URL – https://eur-ex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31985L0374:DE:HTML.
[4] N.N.: Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit. URL – https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex: 31989L0391.
[5] N.N.: ISO 4254 Agricultural machinery - Safety. URL – https://www.iso.org/search.html?q=4254.
[6] N.N.: ISO 18497 Agricultural machinery and tractors - Safety of highly automated agricultural machines - Principles for design. URL – https://www.iso.org/search.html?q=18497.
[7] N.N.: ISO 25119 Tractors and machinery for agriculture and forestry -- Safety-related parts of control systems. URL – https://www.iso.org/search.html?q=25119.
[8] Ethik-Kommission: Automatisiertes und vernetztes Fahren. URL – https://www.bmvi.de/ SharedDocs/DE/Publikationen/DG/bericht-der-ethik-kommission.html.
Autorendaten
Dipl. Ing. agrar Norbert Alt arbeitet beim VDMA Landtechnik in Frankfurt am Main.